Dienstag, 19. Februar 2008

Hörbuchnotizen, Spieltrieb

Neben dem Lesen nimmt noch eine andere Art der Literaturverarbeitung eine immer wichtigere Rolle ein. Diese ist zum einen meist schneller, bequemer und dank immer besserer Umsetzung auch zunehmend genussvoll. Hörbücher gehören genauso zur Literatur wie bedrucktes Papier. Daher will ich hier auch von meinen Erlebnissen beim mehr oder weniger aufmerksamen Lauschen berichten.

Juli Zeh "Spieltrieb"

Dieses Hörbuch war das letzte das ich hörte. Ich wollte das Buch schon seit Jahren mal lesen, hab's dann aber doch immer gelassen mir zu kaufen, da ich ohnehin von einen stets wachsenden to-do Bücherstapel bedroht werde. Also wartete ich und wartete bis mir das Buch früher oder später irgendwann einmal aus einer Mängelexemplar-Kiste entgegenspringen würde. Dies geschah bisher nicht. Dafür hatte ich aber vor kurzem bei einer Bekannten das Hörbuch entdeckt und mir natürlich gleich ausgeliehen.

Das Hörbuch besteht aus 4 CDs und wird durchgehend von der Schauspielerin Sascha Maria Icks mit sehr angenehmer Stimme gelesen. Dies allerdings ziemlich schnell. Anfangs brauchte ich eine Weile bis ich mich an das rasante Lesetempo gewöhnt hatte, da auch die Szenen der Handlung oft ein wenig springen. Aufmerksames Zuhören ist also Pflicht. Und selbst so werde ich mir einiges bestimmt wiederholt anhören müssen.

Die Story selbst und somit der Roman hat mich sehr fasziniert. Die Geschichte im groben kannte ich bereits, schließlich wollte ich das Buch seit Jahren einmal lesen und hatte in dieser Zeit einiges darüber gehört. Protagonistin ist die zum Beginn der Geschichte 13-jährige Ada. Ort der Handlung ist das Ernst-Bloch-Gymnasium in Bonn. Weitere wichtige Personen sind: Alev, ein Mitschüler Adas, Höfi und Smutek, Geschichts- bzw. Deutsch- und Sportlehrer. Daneben noch einige Nebenrollen, wie Adas Eltern, der Schulleiter sowie die Mitschüler Olaf und Odetta.

Ada ist eine unglaublich eloquente und hochintelligente Einzelgängerin. Völlig kühl betrachtet sie ihre Mitmenschen, ihr Leben und sich selbst. Gefühlregungen meint man bei ihr nicht zu finden, sie selbst sagt von sich, sie habe so etwas wie eine Seele nicht. Erst als Alev zum neuen Schuljahr, nun in der Oberstufe, in ihre Klasse kommt, findet sie diesen interessant genug, dass sich eine Art Freundschaft entwickelt. Olaf, ein Typ aus einer Außenseiterclique und Bandmitglied, mit dem sie zuvor eine kurze Beziehung hatte, war für sie mehr ein Objekt, an dem sie sexuelle Erfahrungen machen konnte. Alev scheint ein ähnlicher Charakter zu sein, was ihn ihr interessant macht. Auch er ist sehr intelligent und inszeniert sich im Unterricht von Beginn als als Außenseiter und Provokateur. Die beiden beginnen mit provozierenden Kommentaren mit dem Lehreren zu spielen. Besonders mit dem Geschichtslehrer Höfi, dem das geistige Kräftemessen gefällt.
Alev ist es dann auch der ihr von seinen Spieltheorien erzählt und sie auffordert ein gemeinsames "Spiel" mit dem Lehrer Smutek zu spielen. Er gewinnt sie schließlich dafür, indem er ihr ein paar Vorhersagen macht, und er dann das Geschehen so arrangiert, dass diese auch eintreten. Die beiden entschließen sich Smutek zu verführen, die Situation mit der Kamera einzufangen um ihn dann in der Hand zu haben, was ihnen dann auch gelingt.
Ada hatte zuvor auf einem Schulurlaub Smuteks, zunehmend von einer psychischen Krankheit geplante Frau, aus einem gefrorenen See gerettet. Seitdem fühlt sich Smutek auf irgendeine Weise für Ada verpflichtet und zu ihr hingezogen. So ist es für sie leicht, ihn für Alevs "Spiel" zu gewinnen und ihn sexuell zu verführen.

Während dieses Spiels zeigen sich bei Ada jedoch doch gewissen emotionale Regungen. Alev dagegen bleibt völlig kalt, ihm bereitet sein eigener zynischer Sadismus offensichtliche Freude. Sie dagegen empfindet zunehmend Mitlied mit Smutek und will ihn aus diesem Spiel herausholen. An einer anderen Stelle ist ein Anflug von Eifersucht auf Odetta zu erkennen, als sie vermutet Alev, der von sich selbst behauptet impotent zu sein, könnte auch zu ihr eine enge Freundschaft pflegen. Um Smutek zu retten, will Ada aus dem Spiel aussteigen. Alev will sie zum weiterspielen zwingen, woran sich zeigt, dass ihm das Spielen die einzige Erregung bereitet, während auch Ada für ihn kaum mehr als eine Figur auf seinem geistigen Schachbrett ist.
Ada kommt jedoch nicht mehr zu den erpressten Verabredungen mit Smutek, woraufhin dieser, von Ada bereits über ihren Ausstieg informiert, seine gewonnene Stärke erkennt und Alev verprügelt. Auch dieses Ende des Spiels scheint Alev als interessante Überraschung und Wendung zu betrachen und unternimmt nichts um sich zu wehren.

Es kommt zur Gerichtsverhandlung, bei der sowohl Alev als auch Smutek angeklagt sind. Ada, als das sexuell misshandelte Opfer nimmt bloß eine Zeugenrolle ein. Die Richterin Sophie, die vor Beginn der Verhandlung kurz vorgestellt wird, erweist sich in der knappen Charakterisierung als eine ähnlich gefühlskalte und nihilistische Person wie Ada, was für den Ausgang der Verhandlung von entscheidender Rolle ist. Nachdem Ada eine vorbereitete und durchdachte Aussage macht, die viel mehr einem Plädoyer ähnelt, ist die Richterin so von der Sache fasziniert, dass sie die beiden Angeklagten mit jeweils viel zu geringen Strafen in die Freiheit entlässt.

Nun das Ende: Ada trifft Alev ein letztes Mal. Beide versichern sie sich, sie hätten auf ihre je eigene Art, einander geliebt. Alev wird das Land verlassen und woanders weiter aus die Schule gehen. Er beabsichtigt weiterhin seine sadistischen Spiele mit Menschen zu spielen und prophezeit ihm und Ada ein Wiedersehen falls diese mit 40 noch immer allein sei. Smutek und Ada dagegen fühlen sich einander durch die Geschichte verbunden, er jedenfalls liebt sie, was sie für ihn empfindet bleibt offen. Liebe ist es jedenfalls sicherlich nicht. Vielleicht die kleine Hoffnung dem Leben doch noch eine Seele entlocken zu können. Die beiden brennen gemeinsam durch und verschwinden in den weiten der Welt!

Soviel zum Inhalt, es bleibt die Bewertung: Die Story ist faszinierten, intelligent, erschreckend und fesselnd zugleich. Wie in den meisten literarischen Darstellungen von Kindern und Jugendlichen werden zwar Ada und Alev reichlich unrealistisch für das entsprechende Alter gezeichnet, aber das kann der Faszination der Geschichte keinen Abbruch tun. Jugendlich handelt Ada außerdem allemal, auch wenn ihre Eloquenz und ihr Scharfsinn mit überdurchschnittlicher Intelligenz nicht zu erklären sind. Trotzdem, die Radikalität ihres Denkens, ihr Absolutheitsanspruch der eigen Wahrnehmungswelt, sind einem jugendlichen Geist durchaus typisch. Nihilismus als eine jugendliche Tugend?

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