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Mittwoch, 9. April 2008

Goldhagen über deutsche NS-Mörder


Wie bereits angekündigt möchte ich meine Arbeit an dem Roman auch als Gelegenheit Nutzen, ein bereits seit einigen Jahren wartendes Vorhaben anzugehen: die Lektüre von und Beschäftigung mit Daniel Goldhagens Studie über die Täter des Holocausts.
Max Aue, bevor er zur detailreichen und schockierenden Darstellung, des im letzten Beitrag erwähnten Massakers von Babi Jar übergeht, hatte seine eigenen Überlegungen über die verschiedenen Tätercharaktere angestellt. Sich selbst hatte er dabei im Übrigen zunächst ausgelassen. Um mir selbst die nur schwer erträglichen Szenen dieses Romans „erklären" zu können, will ich nun die wohl umfassendste Studie, die über die Täter des Holocausts existiert, in Auszügen dokumentieren.

Daniel Jonah Goldhagen widerlegt im 15. Kapitel seines Buches mehrere Erklärungsmuster, mit denen, entweder Täter ihre persönliche Schuld zu relativieren oder auch Historiker in der Aufarbeitung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen zu erklären versuchten, was eigentlich schier unmöglich zu verstehen erschien. Außerdem teilt er vier Handlungstypen nach den Kategorien, ob nach Befehl und/oder auf grausame Weise getötet wurde oder nicht.
Er stellt zunächst fest, dass die Deutschen den Juden, nicht nur in Ausnahmefällen, größeres Leid zugefügt hatten, als es den Befehlen nach notwendig wäre (1998: 441). Er wurde häufig sinnlos und zum bloßen Vergnügen gequält, erniedrigt, gefoltert und gemordet. Wie auch in Littells Roman dargestellt, wurden Fotos von den Torturen und Morden gemacht, mit denen stolz geprahlt wurde (1998: 443).
Ein erster Erklärungsansatz war, die Deutschen hätten auf Zwang hin gehandelt, aus Angst vor Bestrafung oder Hinrichtung bei Befehlsverweigerung. Goldhagen stellt ausführlich dar, dass keinerlei Beweise vorliegen, die solche Behauptungen stützen würden, obwohl während der Nürnberger Prozesse umfassend danach gesucht wurde. Dagegen liefert er mehrere Beweise dafür, dass es durchaus möglich war, sich dem Morden zu widersetzten. Kein Deutscher wurde demnach während des Holocaust hingerichtet oder schwer bestraft weil er den Mord an Juden verweigert hätte. Es lasse sich nachweisen, dass Tätern in allen Einheiten die Möglichkeiten einer Versetzung gegeben waren. Für die SS gab Himmler den ausdrücklichen Befehl, denjenigen, die sich den Strapazen nicht mehr gewachsen sahen, die Versetzung zu ermöglichen und sich in die Heimat versetzten zu lassen (1998: 445).
Eine zweite Behauptung, Menschen und insbesondere die Deutschen würden zu starkem Befehlsgehorsam neigen, lässt sich entkräften, da während der Weimarer Zeit durchaus subversive Strömungen vorhanden waren. Während der NS-Zeit wurde Gehorsam gerade dahingehend verweigert, dass gegen ausdrücklichen Befehl an der Folter und dem Mord an Juden teilgenommen wurde (1998: 446ff)! Gegen kirchenpolitisch Maßnahmen und das „Euthanasieprogramm" gab es Widerstand und Protest, wieder nicht auch gegen den Judenmord (1998: 448)?
Auch die Erklärungsansätze, die Deutschen hätten aus Karrierestreben „mitgemacht", die Vernichtungsmaschinerie wäre angeblich so fragmentiert, dass Einzelne den Umfang ihrer Taten gar nicht erfassen könnten, sowie den Versuch, die breite Mittäterschaft aus Gruppenzwang bzw. Gruppendruck zu erklären, widerlegt Goldhagen. Wäre die überwiegende Bevölkerung gegen die Judenvernichtung, würde der Gruppendruck schließlich dieser entgegenwirken und nicht andersherum(1998: 449)!

All diese konventionellen Erklärungsansätze würden das Wesentliche, das Spezifische des Holocaust weglassen, und die Taten der Deutschen so behandeln, als ob jedes andere Volk in ähnlicher Situation genauso gehandelt haben könnte. Jedoch sei gerade das Spezifische, die Kultur, Gesellschaft und Politik, die Identität der Deutschen als Volksgemeinschaft wesentlich zum Verständnis. Außerdem sei insbesondere auch die Identität „der Juden", deren Bild im Bewusstsein der Deutschen, entscheidend.
Nach Goldhagen lasse sich die Brutalität, die Grausamkeiten, die „ganz gewöhnliche Deutsche", auch ohne Befehl und nicht in Ausnahmen sondern in unzähliger Gleichartigkeit immer und immer wieder, im Umgang mit den Juden zeigten, nur erklären über einen „tiefsitzenden Haß, wie ihn kaum jemals ein Volk einem anderen gegenüber empfunden haben dürfte" (1998: 456).

„Zu einer solchen Interpretation gelangt man nur, wenn man von einem dämonisierenden Antisemitismus ausgeht, der in Deutschland eine bösartige rassistische Form angenommen und die kognitiven Modelle der Täter sowie der deutschen Gesellschaft insgesamt bestimmt hat. Die deutschen Täter waren demnach mit ihrem Tun einverstanden. Es handelte sich um Männer und Frauen, die ihren kulturell verwurzelten, eliminatorisch-antisemitischen Überzeugungen getreu handelten und den Massenmord für gerecht hielten" (1998: 460).


Die Deutschen waren also, nach Goldhagen, so sehr von ihrer völlig irrationalen Wahnvorstellung, „die Juden" seien tatsächlich der Inbegriff des Schlechten und Bösen überzeugt, dass sie in ihnen nicht mehr die Menschen als Opfer sondern nurmehr die zwingende Notwendigkeit ihrer Vernichtung zum Schutz des eigenen Volkes sahen. So waren die Juden also völlig den sonst geltenden moralischen Grundsätzen enthoben, die „Vergeltung" als gerechte Strafe für Dinge, die allein im kranken Bewusstsein der Deutschen Antisemiten existierten (1998: 465).

Goldhagen gibt als Beispiel für dieses umfassende kognitive Modell der Deutschen, die Gerichtsaussage eines Täters bei den Nürnberger Prozessen wieder: „Die Männer der Einsatzkommandos haben wirklich geglaubt, daß der Bolschewismus, der Deutschland in einen apokalyptischen Krieg verwickelt habe, ‚eine jüdische Erfindung darstelle und nur den Interessen des Judentums diente’" (1998: 460). Eine Aussage, der Max Aue in Littells Roman widerspricht. Dort ist an mehreren Stellen davon die Rede, dass Mitglieder der SS sehr wohl davon wüssten, dass der Bolschewismus nicht mit dem Judentum übereinstimme.
So wird für Goldhagen, das was in jeder Hinsicht nur als völlig perverser, irrationaler Sadismus erscheint, ein „rationales" Produkt des eliminatorischen Antisemitismus der Deutsche. Ein „Charakteristikum des Völkermords […] ist die Bereitwilligkeit, mit der die Deutschen, ob Täter oder nicht, verstanden, warum man von ihnen die Tötung der Juden erwartete" (1998: 472).

Soweit Goldhagens Analyse des deutschen Bewusstseins zur NS-Zeit bisher. Es handelt sich lediglich um eines von 16 Kapiteln aus einer ausführlichen Studie. Für mich selbst sind hier noch viele Fragen offen, also werde ich weiterlesen und hoffe so ein paar Antworten zu finden. Beispielsweise ist es - aus meiner heutigen Perspektive - schwer vorstellbar, wie wirklich eine gesamte Gesellschaft, oder zumindest ein so überwältigender Teil davon, dass die restliche Minderheit kein Gewicht im Geschehen und der späteren historischen Aufarbeitung haben konnte, derart, in eine zutiefst irrationale und erlogene Ideologie konditioniert werden konnte. Wie konnte es dazu kommen? Ich hoffe in den ersten drei Kapiteln von Goldhagens Buch einige Hinweise zu bekommen.

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Goldhagen, Daniel J. (1998): Hitlers willige Vollstrecker

Mittwoch, 2. April 2008

Die Wohlgesinnten, Lesetagebuch - Teil 3

[zurück zu Teil 2]


Vor zwei Tagen bin ich in meiner Lektüre zunächst auf Seite 159 stecken geblieben, nachdem auf den letzten 100 Seiten – wie soll das nur auf den folgenden 1200 Seiten weitergehen? – pausenlos aufs grausamste massakriert und gemordet wurde. Von den Deutschen begründet mit den perfidesten Lügen und Verleumdungen.

Eins ist jedenfalls schon jetzt klar: Es hat überhaupt keinen Sinn, diesen Roman in der sonst üblichen Weise einer knappen Inhaltszusammenfassung darzustellen. Jedenfalls nicht in der relativen Vollständigkeit die ich sonst gewählt hatte. Andererseits glaube ich trotzdem schon zu erkennen, dass der Roman nicht jenes vernichtende Urteil verdient hat, welches ein Großteil der Kritikerinnen und Kritiker des deutschsprachigen Feuilletons dafür hatten. Die ernsthafte Beschäftigung damit kann sehr wohl lohnend und nützlich sein!

Wie gesagt, ich hatte meine Lektüre unterbrochen. Und zwar um mich nach dieser Aneinanderreihung von Grausamkeiten, gespickt mit Aues perversen Gedankengängen, ein wenig mit „Sekundärliteratur“ zu beschäftigen. Auslöser war der, vom zurückgekehrten Standartenführer Bobel überbrachte, Befehl, ab jetzt seien alle Juden zu töten (S. 143f). Gemeint war: nicht nur die Männer sondern auch Frauen und Kinder! Außerdem Aues Einteilung der Mörder in drei verschiedene Charaktertypen (S. 153).

Also zog ich Michael Burleighs Gesamtdarstellung des Nationalsozialismus und Daniel J. Goldhagens Hitlers willige Vollstrecker aus dem Bücherregal um mich ein wenig mit den historischen Fakten zu beschäftigen. Zwar wurde in einigen Rezensionen bereits auf Littells akribischen Umgang mit diesen hingewiesen, ich möchte aber die Arbeit an den Wohlgesinnten dazu nutzen, mich selbst tiefgreifender mit den Verbrechen der Nazis zu beschäftigen.

Die Lektüre der Abschnitte „Verbrechen ohne Krieg“ aus dem siebten und „Der Mord an den sowjetischen Juden“ aus dem achten Kapitel von Burleighs Buch bestätigt die Aussagen der Rezensenten. Burleigh schreibt, von der Propagandalüge, die den Bolschewismus den Juden zuschreibt. Allerdings auch, dass diese Lüge von vielen Tätern als das erkannt wurde was sie war. Auch herrschten keineswegs immer strikte Weisungen, wie mit der jüdischen Bevölkerung zu verfahren (wie zynisch das klingt, angesichts dieser Verbrechen!) sei. Die Einsatzkommandos hatten durchaus einige Interpretationsfreiheit bei den Befehlen.

SS und Wehrmacht arbeiteten, nach Burleigh, an der Ostfront oft Hand in Hand. Also von wegen „saubere Wehrmacht“, wie es in der Vergangenheit immer wieder als Argument der Schuldabweisung gebraucht wurde.



Seit ich den oberen Abschnitt geschrieben habe sind ein paar Tage vergangen, den ich, da ich im Moment zuhause kein Internet habe, bisher noch nicht veröffentlicht hatte. Mittlerweile habe ich Die Wohlgesinnten ein wenig weitergelesen und habe herausgefunden, wie es auf den folgenden Seiten weitergeht.

Nachdem von der Roten Armee (?) im eingenommenen Kiew Sabotageakte verübt wurden, beginnt die deutsche Propagandamaschine wieder zu arbeiten. Juden sollen die Drahtzieher des Bolschewismus sein und daher auch die Schuldigen für die Brandanschläge. Was daraus wird ist das grausamste und erschütternste was ich jemals gelesen habe. Von den 150.000 in Kiew lebenden Juden sollen 50.000 in einer „Vergeltungs- und Vorbeugemaßnahme“ liquidiert werden. Es handelt sich um das am 19. September 1941 verübte Massaker von Babyn Jar. Die Durchführung dieser völlig surreal wirkenden Szenerie wird in voller Bandbreite und in all ihrer Perversität geschildert. Ob die Beschreibung solch einer Szene wirklich nötig war, um zu zeigen welch fürchterliche Verbrechen vom deutschen Nationalsozialismus begangen wurden, ich weiß es nicht!

Während die gutgläubigen Opfer der Lüge einer vorgesehenen Umsiedlung glauben und so freiwillig in die Arme Tätern gehen, betäuben sich diese im Rum, um dann zu morden und zu schlachten.

Vor ein paar Wochen habe ich Jean Amérys Essay Jenseits von Schuld und Sühne als Hörbuch gehört, worin er, als er von dem Gebäude in Belgien berichtet in dem er vom SD verhört und gefoltert wurde, den Satz schreibt: „Geschäftszimmer, jeder ging an sein Geschäft und ihres war der Mord.“


"Unermüdlich, methodisch fuhr der von uns eingerichtete gigantische Apparat damit fort, diese Menschen zu vernichten. Es schien nie aufzuhören. Seit den Anfängen der menschlichen Geschichte war der Krieg stets als das größte aller Übel wahrgenommen worden. Doch wir, wir hatten etwas erfunden, neben dem der Krieg richtig und rein erschien, etwas, dem schon jetzt viele dadurch zu entgehen suchten, dass sie sich in die elementaren Sicherheiten von Krieg und Front flüchteten. Selbst die wahnwitzigen Schlächtereien des Ersten Weltkriegs, die unsere Väter und einige unserer älteren Offiziere miterlebt hatten, erschienen fast sauber und gerecht gegenüber dem, was wir in die Welt gebracht hatten. Ich fand das außerordentlich. Mir schien es etwas ganz Entscheidendes zu sein, etwas, was mir, wenn ich es verstünde, erlauben würde, alles zu verstehen und mich endlich auszuruhen."

Dies, Aues Gedanken als er sich mit warmem Tee und Zigarette eine kurze Unterbrechung in seinem "Geschäft" gönnt.

Montag, 24. März 2008

Die Wohlgesinnten in der Blogosphäre

Hätte ich mir eigentlich denken können! Eben habe ich mal die Google-Blogsuche mit dem Titel des Romans bemüht um zu sehen was andere schreiben, und siehe da, noch einige andere verfolgen gerade das gleiche Projekt. Müssen einem aber auch alles nachmachen! ;)

Hier erstmal eine kleine Auswahl. Lesen muss ich die einzelnen Beiträge selbst noch, daher noch keine inhaltlichen Kommentare an dieser Stelle:

Der Blog Die Dschungel. Anderswelt. beginnt seine Lesenotate mit diesem Beitrag. Bei Salomes Bücher beginnt Esther hier ihr Lesetagebuch. RomArtLog liest nicht selbst, verweist aber in zwei Beiträgen auf die verschiedenen Pressereaktionen. Ein positives Urteil über den Roman kann man auf dem Blog im blickfeld lesen.

Lesetagebuch, Max Aue trifft Thomas (S. 79)

Da der Roman Die Wohngesinnten sicherlich wesentlich mehr Einträge erfordert, als die bisher besprochenen Bücher, verzichte ich darauf, immer alle vergangenen Beiträge zu verlinken. Lediglich einen Verweis zum letzten und am Ende zum folgenden wird es geben. Zwischendurch, oder nach der gesamten Bearbeitung gibt's dann ein zusammenfassendes Inhaltsverzeichnis!

Es ist eklig und makaber! Während nebenan vergewaltigt, gefoltert und gequält wird, sitzt Max Aue mit einem Hauptmann beim Kaffeeplausch oder trifft sich mit anderen zu gutem Essen und Wein, wobei sie über den "gerechten Volkszorn" lachen (S. 93). Gemeint sind die Massaker an Juden und Bolschewiken zu denen die Ukrainer von den Deutschen angestachelt wurden. Hier trifft die Aussage, das Werk sei pornographisch, ganz gut!

Max Aue trifft Thomas, den er aus Berlin kennt und mit dem er gemeinsam in Frankreich war. Am Verhältnis der beiden lässt sich Aue ein wenig charakterisieren. Er wird als ehrlich und pflichtbewusst dargestellt. Ein Naivling, der seinen Dienst gut tun will und nicht damit rechnet, dass "man augerechnet Juristen auswählen würde, um Menschen ohne Prozess zu umzubringen" (S. 88). Hat nicht Max Aue im Prolog noch gesagt, er wolle keine Rechtfertigung und Entschuldigung seines Handelns abgeben?
Der Antisemitismus, so vermittelt es Littell, wird bei ihm rein durch der Propaganda seiner Vorgesetzten geweckt, da den Juden für alle möglichen Dinge die Schuld gegeben wird. Solche Züge verstören mich als Leser. Einerseits weiß ich, dieser Mensch ist ein skrupellloser Massenmörder, andererseits lese ich seine Geschichte, immerzu aus seiner persönlichen Perspektive, komme also gar nicht umhin mit seinen Augen zu sehen.

Thomas, der alte Kamerad, dessen Erscheinen den Icherzähler zu einem Rückblick veranlasst, ist nichts anderes als eine karrierefixierte Nazisau! Er hat keine Probleme mit der Wahrheit, schreibt seinen Bericht über Frankreich, anders als Aue, so wie Heydrich ihn gerne zu hören bekommt. Dafür wird er mit Beförderungen und "guten" Posten belohnt! Später holt er dann Aue für den Russlandfeldzug wieder ins Boot. "Du wirst sehen, es wird lustig." sagt er zu ihm. Lustig!? Aue, in seiner postfaschistischen Reflektion: "So vergrößert der Teufel sein Reich, so und nicht anders." (Beides S. 88). Auch darin wieder ein trickreicher und professioneller Griff des Autors Littell, dem Leser einen Funken Sympathie für den Mörder zu suggerieren.

Max Aue bewundert Thomas, fühlt sich zwar manchmal verletzt von dessen Zynismus, andererseits empfindet er im auch häufig erfrischend. Das übrigens, Aues Gedanken, als Thomas ihm kurz zuvor über die tatsächlichen Umstände der Pogrome aufgeklärt hatte. Thomas Hauser hatte er kennengelernt, als er in Berlin beinahe wegen seiner Homosexualität Probleme bekommen hatte. Thomas musste ihn nur etwas erpressen, ihm die bevorstehenden Unannehmlichkeiten darlegen, und Aue entschloss sich zum Eintritt in den SD.

[weiter zum 3. Teil]

Sonntag, 23. März 2008

Die Wohlgesinnten, Lesetagebuch eröffnet!

Über kleine Umwege, die mich auch durch Charlotte Roches Feuchtgebiete führten, beginne ich nun endlich, wie versprochen, mit der Lektüre von Jonathan Littells vieldiskutiertem Roman. Genauer gesagt, ich habe bereits vor drei Tagen damit begonnen. Das sind dann die beiden aktuellen Skandalromane hintereinander. Freilich Skandale ganz verschiedener Art!

Ich bin mir noch nicht ganz sicher, in welcher Form ich mein Lesetagebuch in diesem Fall gestalten werde. Sonst hatte ich immer kurz den Inhalt wiedergegeben und dazwischen meine persönlichen Eindrücke und Leseerfahrungen platziert. Das ist zum Einen wegen des mächtigen Umfangs von Littells Roman schwierig. Vor allem aber, weiß ich nicht, ob ich, angesichts der schrecklichen Verbrechen, die in dem Buch minutiös geschildert werden, und der Tatsache, dass der Protagonist selbst einer der Verbrecher und Mörder ist, mit dieser, gewohnten Form der Darstellung einverstanden sein kann und ob sie mir sinnvoll erscheint. Ich denke da werden sich einige Konflikte auftun. Trotzdem möchte ich das Buch behandeln. Als literarisches Werk, aber auch in Bezug auf die Verbrechen des Holocaust, die hier als fiktive Erzählung erscheinen. Ich werde es als work in progress selbst erfahren müssen.

Der Roman Die Wohngesinnten beginnt mit einer Vorrede, von Littell Toccata genannt, des altgewordenen Max Aues. Wie in einem einzigen, teilweise wirren Gedankenstrom berichtet der Icherzähler, wieso er jetzt im Alter, wo er doch beruflich gefestigt und unbescholten, seinen Posten in einer französischen Fabrik hat, diesen Lebensbericht schreiben möchte. Er will sich nicht entschuldigen, nicht rechtfertigen, nicht erklären, das sagt er, doch genau das versucht er. Indem er jede persönliche Schuld von sich weißt, darauf besteht, dass jeder andere auch so gehandelt hätte. Er schweift über die Philosophie, über seine pedantischen Rechnereien, wie viele Tote der Krieg pro Woche, pro Tag, pro Stunde und Sekunde gefordert hatte, hin und her, persönliche Erfahrungen gemischt mit allgemeinem Gerede. Und immer wieder: Ich bin wie Ihr!

Jetzt werden wir LeserInnen hineingeworfen in das Kriegsgeschehen der Ostfront, und mit uns, so erscheint es, einige junge und unerfahrene SS-Offiziere unter denen sich Max Aue befindet. Nahe bei Lemberg, zu Beginn des Kriegs gegen die Sowjetunion, soll ihnen das Töten gelehrt werden. Schon hier, erschreckende, grausame Szenen: Ein Massaker hat stattgefunden, ob von der Sowjetarmee oder der Wehrmacht verübt, die Juden sollen es gewesen sein, und für jeden Toten soll einer erschossen werden. Zu zweit, kein Schütze soll sich persönlich verantwortlich fühlen. Die will auch keiner übernehmen. Als der Standartenführer Bobel im Fieber, betrunken ausrastet und ins Krankhaus gebracht wird, will keiner das Kommando übernehmen.
Für den "Vergeltungsakt", die Erschießung von über tausend Menschen, sollen diejenigen genommen werden, die sich freiwillig auf die Plakataushänge melden, die zur Versammlung der ansässigen Juden aufrufen. Max Aue findet das ungerecht! Die Feiglinge kommen davon, diejenigen aber, die guten Willens "den Worten des Deutschen Reichs glaubten" würden sterben! Auch, dass er selbst den Befehl erhalten hatte, nach Lemberg zu fahren um beim Brigadeführer Befehle zu empfangen, wurmt ihn, da er sich seiner Verantwortung nicht entziehen möchte. Wenn Erschießungen stattfinden sollen, will er sich der Pflicht stellen!
Dagegen fährt er am frühen Morgen nach Lemberg, das wenige Tage zuvor von der Wehrmacht eingenommen wurde. Blutige Szenen werden dargestellt, Menschen werden gequält und vergewaltigt, Häuser wurden geplündert. An einer armendischen Kirche vorbekommend, bittet ihn ein Priester um Hilfe, da Ukrainer über in der Kirche Schutz suchende Juden hergefallen sind. Aue tut nicht viel, jedoch erreicht der Priester mit seiner Anwesenheit das Ende der Torture. Für die meisten zu spät. Aue hilft einen schwer verletzten Menschen auf eine Bank zu legen, spricht kurz mit dem Priester, dann wendet er sich ab und geht weiter.

[weiter geht's hier]

Freitag, 29. Februar 2008

Wohlgesinnte Rezensionen?

Eben habe ich noch ein wenig in den Rezensionen über Jonathan Littells Die Wohlgesinnten gestöbert. Einen sehr guten Überblick bietet ein weiterer Artikel Klaus Theweleits, diesmal in der Taz erschienen. Hier zeigt Theweleit, dass nicht alle Kritikerinnen des deutschsprachigen Feuilletons mit einer Stimme sprechen. Außerdem sollten sich alle Interessierten den Reading Room der FAZ ansehen.

Iris Radisch watscht den Roman in der Zeit auf ganzer Linie ab. Die sprachliche Qualität sei schlecht bis miserabel, dazu der Schreibstil primitiv. Littell leiste mit seinem Roman weder einen Beitrag zum Verständnis der Täterseele noch böten seine "detail- und dokumentengetreuen" Darstellungen der NS-Verbrechen etwas Neues zur Geschichtsforschung. Ein ähnlich dämliches Argument des Historikers Ulrich Herbert zitiert auch Klaus Theweleit in seinem FAS Artikel: Littells Roman würde nichts Neues zur Forschung beitragen. Nun, das ist doch einmal ein schlagendes Argument gegen einen Roman! Und das von einem Historiker. Ist es nicht dessen Fachgebiet wissenschaftliche Forschung zu betreiben und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Ein Romancier bedient sich dieser als Quelle und Inspiration, wird aber wohl kaum Neues zur Forschung beitragen. Dies zu fordern ist schon ein ziemlicher Unsinn!

Zwar sind sich fast sämtliche Kritiker darin einig, dass es sich um einen grässlichen, grauenvollen und pornographischen Roman handelt. Alle die das Buch gelesen haben fühlen sich abgestoßen und angewidert, doch liegt doch gerade auch darin der Zweck und das Ziel des Romans. Warum sonst wird aus der Perspektive des SS-Offiziers berichtet. Das hier kein Held sondern allenfalls ein ekelhafter Antiheld als Protagonist auftaucht müsste jedem klar sein!

Vielleicht zeichnen am Falle dieses Romans gerade die abwehrensten Haltungen viel mehr ein Bild deutscher Verdrängungsmechanismen, als dass sie ein qualitativ gutes Urteil bieten. So würden zum Beispiel die ersten 300 Seiten sehr wohl verdeutlichen wie eng der Zusammenhang zwischen Judenvernichtung und militärischen Operationen war. Dies bleibt jedoch fast überall unerwähnt. Wollen vielleicht einige lieber an der strikten Trennung von Vernichtung und Wehrmachtskrieg festhalten?
Eine weitere weitere Schwierigkeit bereitet einigen Lesern wohl, dass Max Aue, der erzählende SS-Offizier, nicht als scheußlich rohes Mordmonster, sondern als gebildeter Charakter gezeichnet wird. Widerspricht dieses Bild so sehr dem Wunschbild eines sadistischen Täters, mit dem man sich viel leichter abfinden könnte? Iris Radisch schreibt, Max Aue sei eine völlig unrealistische fiktive Darstellung. Einen SS-Offizier wie Max Aue hätte es nicht gegeben. Mag sein! Sicherlich ist er konstruiert und sicherlich spiegelt er bestimmt nicht "den Prototypen" eines NS-Verbrechers. Aber sind es nicht gerade die abstoßenden Widersprüche die uns Leser zur eigenen gedanklichen Arbeit verleiten?

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Hier habe ich noch ein paar weitere Beiträge zum Buch zusammengestellt. Bei Gelegenheit werde ich auch hier auf den einen oder anderen noch eingeben:

Klaus Harpprecht, Der verklärte »Boche«

Harald Welzer, Am Ende bleibt die Faszination

David Hugendick, «Und wann kommen die Nazis?»

Thomas Steinfeld, Ein schlauer Pornograph

Georg Klein, Die Bosheit der Toten

Wolfgang Schneider, In der Seele eines Täters

Donnerstag, 28. Februar 2008

Jonathan Littells, Die Wohlgesinnten

Das wohl momentan meistdiskutierte und am schlimmsten verrissene Buch im deutschen Feuilleton ist Jonathan Littells Roman Die Wohlgesinnten (oder hier die Website des Buches), der die fiktive Lebensgeschichte eines SS-Offiziers erzählt. In den letzten Wochen habe ich eine ganze Reihe Rezensionen darüber gelesen und die fast alle Rezensenten sind sich einig: dieser Roman taugt nichts, wie konnte das Buch in Frankreich ein solcher Erfolg sein!
Mit den verschiedenen Rezensionen will ich mich hier in den nächsten Tagen noch einmal auseinandersetzen. Ich hoffe, ich habe nicht alle schon dem Altpapier überlassen bzw. finde sie im Netz wieder.

Der eigentliche Auslöser, das Buch, trotz der schlechten Kritiken doch lesen zu wollen, war eine Rezension von Klaus Theweleit in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Zwar fand auch er die Lektüre quälend, zeigt jedoch ein paar Aspekte des Romans auf, die mein Interesse wecken.

Zwar kann ich mir gut vorstellen, dass auch ich wenig Gefallen an Littells Roman finden werde, um dies jedoch herauszufinden, habe ich mir das Buch heute besorgt! Ich werde dann also in den nächsten Tagen und Wochen ein wenig darüber berichten. Das kann bei 1400 Seiten allerdings etwas dauern, da ich mich nicht gerade als Schnellleser bezeichnen würde. Das liegt zum einen daran, dass ich einfach nicht besonders schnell lese. Und das andere: ich verbringe meist nur einen kleinen Teil meiner Lesezeit mit Belletristik. Muss schließlich studieren, nebenbei auch noch das eine oder andere Sachbuch zur Selbstbildung lesen und außerdem auch tagespolitisch auf dem Laufenden bleiben! Es ist schon ein Kreuz, so viel zu tun.... Na ja, ich werd mich jedenfalls dran versuchen und in gewohnter Manier hier meinen Senf dazu geben!