Samstag, 19. April 2008

Neues Buch: Zadie Smith, Von der Schönheit

Bin zwar bei Littells Die Wohlgesinnten noch nichtmal ganz bei der Hälfte, habe aber trotzdem vor ein paar Tagen einen weiteren Roman begonnen, der schon seit über einem Jahr wartend bei mir im Regal steht. Und zwar, wie in der Sidebar zu sehen ist Von der Schönheit von Zadie Smith. Vor kurzem übrigens auch als Taschenbuch erschienen.

Die Wohlgesinnten sind einfach eine sehr anstrengende Lektüre, teilweise eine echte Qual, der ich mich nicht immer aussetzen will. Manchmal sehr zäh und schleppend, dann wieder abstoßend grausam und immer wieder geschichtliche Fakten und Taten, die mich dazu veranlassen, das Buch wegzulegen um in historischen Fachbüchern die genaueren Geschehnisse zu erfahren.

Daher der Zweitroman zur Entspannung. Als hätte ich nicht schon genug Bücherstau, allein für die Uni. Haha. Das geht eben dann auch nicht immer. So will ich also auch über den "Entspannungsroman" hier in nächster Zeit mehr oder weniger ausführlich berichten...

Donnerstag, 17. April 2008

Langeweile ohne Internet?

Boah, noch immer noch kein Internet im neuen Heim! Das dauert vielleicht, bis die Telekom sich mal bequemt den Anschluss freizugeben. Unverschämtheit eigentlich. So macht das Bloggen natürlich nur halb soviel Spass, daher auch die doch etwas seltenen Beiträge im Moment.

Ein gutes hat's trotzdem: Internet frisst sehr viel Zeit, die so ein wenig mehr anderen Dingen zukommt. Beispielsweise dem dicken Wälzer den ich hier gerade durcharbeite. Bald gibt's Neues....

Mittwoch, 9. April 2008

Goldhagen über deutsche NS-Mörder


Wie bereits angekündigt möchte ich meine Arbeit an dem Roman auch als Gelegenheit Nutzen, ein bereits seit einigen Jahren wartendes Vorhaben anzugehen: die Lektüre von und Beschäftigung mit Daniel Goldhagens Studie über die Täter des Holocausts.
Max Aue, bevor er zur detailreichen und schockierenden Darstellung, des im letzten Beitrag erwähnten Massakers von Babi Jar übergeht, hatte seine eigenen Überlegungen über die verschiedenen Tätercharaktere angestellt. Sich selbst hatte er dabei im Übrigen zunächst ausgelassen. Um mir selbst die nur schwer erträglichen Szenen dieses Romans „erklären" zu können, will ich nun die wohl umfassendste Studie, die über die Täter des Holocausts existiert, in Auszügen dokumentieren.

Daniel Jonah Goldhagen widerlegt im 15. Kapitel seines Buches mehrere Erklärungsmuster, mit denen, entweder Täter ihre persönliche Schuld zu relativieren oder auch Historiker in der Aufarbeitung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen zu erklären versuchten, was eigentlich schier unmöglich zu verstehen erschien. Außerdem teilt er vier Handlungstypen nach den Kategorien, ob nach Befehl und/oder auf grausame Weise getötet wurde oder nicht.
Er stellt zunächst fest, dass die Deutschen den Juden, nicht nur in Ausnahmefällen, größeres Leid zugefügt hatten, als es den Befehlen nach notwendig wäre (1998: 441). Er wurde häufig sinnlos und zum bloßen Vergnügen gequält, erniedrigt, gefoltert und gemordet. Wie auch in Littells Roman dargestellt, wurden Fotos von den Torturen und Morden gemacht, mit denen stolz geprahlt wurde (1998: 443).
Ein erster Erklärungsansatz war, die Deutschen hätten auf Zwang hin gehandelt, aus Angst vor Bestrafung oder Hinrichtung bei Befehlsverweigerung. Goldhagen stellt ausführlich dar, dass keinerlei Beweise vorliegen, die solche Behauptungen stützen würden, obwohl während der Nürnberger Prozesse umfassend danach gesucht wurde. Dagegen liefert er mehrere Beweise dafür, dass es durchaus möglich war, sich dem Morden zu widersetzten. Kein Deutscher wurde demnach während des Holocaust hingerichtet oder schwer bestraft weil er den Mord an Juden verweigert hätte. Es lasse sich nachweisen, dass Tätern in allen Einheiten die Möglichkeiten einer Versetzung gegeben waren. Für die SS gab Himmler den ausdrücklichen Befehl, denjenigen, die sich den Strapazen nicht mehr gewachsen sahen, die Versetzung zu ermöglichen und sich in die Heimat versetzten zu lassen (1998: 445).
Eine zweite Behauptung, Menschen und insbesondere die Deutschen würden zu starkem Befehlsgehorsam neigen, lässt sich entkräften, da während der Weimarer Zeit durchaus subversive Strömungen vorhanden waren. Während der NS-Zeit wurde Gehorsam gerade dahingehend verweigert, dass gegen ausdrücklichen Befehl an der Folter und dem Mord an Juden teilgenommen wurde (1998: 446ff)! Gegen kirchenpolitisch Maßnahmen und das „Euthanasieprogramm" gab es Widerstand und Protest, wieder nicht auch gegen den Judenmord (1998: 448)?
Auch die Erklärungsansätze, die Deutschen hätten aus Karrierestreben „mitgemacht", die Vernichtungsmaschinerie wäre angeblich so fragmentiert, dass Einzelne den Umfang ihrer Taten gar nicht erfassen könnten, sowie den Versuch, die breite Mittäterschaft aus Gruppenzwang bzw. Gruppendruck zu erklären, widerlegt Goldhagen. Wäre die überwiegende Bevölkerung gegen die Judenvernichtung, würde der Gruppendruck schließlich dieser entgegenwirken und nicht andersherum(1998: 449)!

All diese konventionellen Erklärungsansätze würden das Wesentliche, das Spezifische des Holocaust weglassen, und die Taten der Deutschen so behandeln, als ob jedes andere Volk in ähnlicher Situation genauso gehandelt haben könnte. Jedoch sei gerade das Spezifische, die Kultur, Gesellschaft und Politik, die Identität der Deutschen als Volksgemeinschaft wesentlich zum Verständnis. Außerdem sei insbesondere auch die Identität „der Juden", deren Bild im Bewusstsein der Deutschen, entscheidend.
Nach Goldhagen lasse sich die Brutalität, die Grausamkeiten, die „ganz gewöhnliche Deutsche", auch ohne Befehl und nicht in Ausnahmen sondern in unzähliger Gleichartigkeit immer und immer wieder, im Umgang mit den Juden zeigten, nur erklären über einen „tiefsitzenden Haß, wie ihn kaum jemals ein Volk einem anderen gegenüber empfunden haben dürfte" (1998: 456).

„Zu einer solchen Interpretation gelangt man nur, wenn man von einem dämonisierenden Antisemitismus ausgeht, der in Deutschland eine bösartige rassistische Form angenommen und die kognitiven Modelle der Täter sowie der deutschen Gesellschaft insgesamt bestimmt hat. Die deutschen Täter waren demnach mit ihrem Tun einverstanden. Es handelte sich um Männer und Frauen, die ihren kulturell verwurzelten, eliminatorisch-antisemitischen Überzeugungen getreu handelten und den Massenmord für gerecht hielten" (1998: 460).


Die Deutschen waren also, nach Goldhagen, so sehr von ihrer völlig irrationalen Wahnvorstellung, „die Juden" seien tatsächlich der Inbegriff des Schlechten und Bösen überzeugt, dass sie in ihnen nicht mehr die Menschen als Opfer sondern nurmehr die zwingende Notwendigkeit ihrer Vernichtung zum Schutz des eigenen Volkes sahen. So waren die Juden also völlig den sonst geltenden moralischen Grundsätzen enthoben, die „Vergeltung" als gerechte Strafe für Dinge, die allein im kranken Bewusstsein der Deutschen Antisemiten existierten (1998: 465).

Goldhagen gibt als Beispiel für dieses umfassende kognitive Modell der Deutschen, die Gerichtsaussage eines Täters bei den Nürnberger Prozessen wieder: „Die Männer der Einsatzkommandos haben wirklich geglaubt, daß der Bolschewismus, der Deutschland in einen apokalyptischen Krieg verwickelt habe, ‚eine jüdische Erfindung darstelle und nur den Interessen des Judentums diente’" (1998: 460). Eine Aussage, der Max Aue in Littells Roman widerspricht. Dort ist an mehreren Stellen davon die Rede, dass Mitglieder der SS sehr wohl davon wüssten, dass der Bolschewismus nicht mit dem Judentum übereinstimme.
So wird für Goldhagen, das was in jeder Hinsicht nur als völlig perverser, irrationaler Sadismus erscheint, ein „rationales" Produkt des eliminatorischen Antisemitismus der Deutsche. Ein „Charakteristikum des Völkermords […] ist die Bereitwilligkeit, mit der die Deutschen, ob Täter oder nicht, verstanden, warum man von ihnen die Tötung der Juden erwartete" (1998: 472).

Soweit Goldhagens Analyse des deutschen Bewusstseins zur NS-Zeit bisher. Es handelt sich lediglich um eines von 16 Kapiteln aus einer ausführlichen Studie. Für mich selbst sind hier noch viele Fragen offen, also werde ich weiterlesen und hoffe so ein paar Antworten zu finden. Beispielsweise ist es - aus meiner heutigen Perspektive - schwer vorstellbar, wie wirklich eine gesamte Gesellschaft, oder zumindest ein so überwältigender Teil davon, dass die restliche Minderheit kein Gewicht im Geschehen und der späteren historischen Aufarbeitung haben konnte, derart, in eine zutiefst irrationale und erlogene Ideologie konditioniert werden konnte. Wie konnte es dazu kommen? Ich hoffe in den ersten drei Kapiteln von Goldhagens Buch einige Hinweise zu bekommen.

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Goldhagen, Daniel J. (1998): Hitlers willige Vollstrecker

Mittwoch, 2. April 2008

Die Wohlgesinnten, Lesetagebuch - Teil 3

[zurück zu Teil 2]


Vor zwei Tagen bin ich in meiner Lektüre zunächst auf Seite 159 stecken geblieben, nachdem auf den letzten 100 Seiten – wie soll das nur auf den folgenden 1200 Seiten weitergehen? – pausenlos aufs grausamste massakriert und gemordet wurde. Von den Deutschen begründet mit den perfidesten Lügen und Verleumdungen.

Eins ist jedenfalls schon jetzt klar: Es hat überhaupt keinen Sinn, diesen Roman in der sonst üblichen Weise einer knappen Inhaltszusammenfassung darzustellen. Jedenfalls nicht in der relativen Vollständigkeit die ich sonst gewählt hatte. Andererseits glaube ich trotzdem schon zu erkennen, dass der Roman nicht jenes vernichtende Urteil verdient hat, welches ein Großteil der Kritikerinnen und Kritiker des deutschsprachigen Feuilletons dafür hatten. Die ernsthafte Beschäftigung damit kann sehr wohl lohnend und nützlich sein!

Wie gesagt, ich hatte meine Lektüre unterbrochen. Und zwar um mich nach dieser Aneinanderreihung von Grausamkeiten, gespickt mit Aues perversen Gedankengängen, ein wenig mit „Sekundärliteratur“ zu beschäftigen. Auslöser war der, vom zurückgekehrten Standartenführer Bobel überbrachte, Befehl, ab jetzt seien alle Juden zu töten (S. 143f). Gemeint war: nicht nur die Männer sondern auch Frauen und Kinder! Außerdem Aues Einteilung der Mörder in drei verschiedene Charaktertypen (S. 153).

Also zog ich Michael Burleighs Gesamtdarstellung des Nationalsozialismus und Daniel J. Goldhagens Hitlers willige Vollstrecker aus dem Bücherregal um mich ein wenig mit den historischen Fakten zu beschäftigen. Zwar wurde in einigen Rezensionen bereits auf Littells akribischen Umgang mit diesen hingewiesen, ich möchte aber die Arbeit an den Wohlgesinnten dazu nutzen, mich selbst tiefgreifender mit den Verbrechen der Nazis zu beschäftigen.

Die Lektüre der Abschnitte „Verbrechen ohne Krieg“ aus dem siebten und „Der Mord an den sowjetischen Juden“ aus dem achten Kapitel von Burleighs Buch bestätigt die Aussagen der Rezensenten. Burleigh schreibt, von der Propagandalüge, die den Bolschewismus den Juden zuschreibt. Allerdings auch, dass diese Lüge von vielen Tätern als das erkannt wurde was sie war. Auch herrschten keineswegs immer strikte Weisungen, wie mit der jüdischen Bevölkerung zu verfahren (wie zynisch das klingt, angesichts dieser Verbrechen!) sei. Die Einsatzkommandos hatten durchaus einige Interpretationsfreiheit bei den Befehlen.

SS und Wehrmacht arbeiteten, nach Burleigh, an der Ostfront oft Hand in Hand. Also von wegen „saubere Wehrmacht“, wie es in der Vergangenheit immer wieder als Argument der Schuldabweisung gebraucht wurde.



Seit ich den oberen Abschnitt geschrieben habe sind ein paar Tage vergangen, den ich, da ich im Moment zuhause kein Internet habe, bisher noch nicht veröffentlicht hatte. Mittlerweile habe ich Die Wohlgesinnten ein wenig weitergelesen und habe herausgefunden, wie es auf den folgenden Seiten weitergeht.

Nachdem von der Roten Armee (?) im eingenommenen Kiew Sabotageakte verübt wurden, beginnt die deutsche Propagandamaschine wieder zu arbeiten. Juden sollen die Drahtzieher des Bolschewismus sein und daher auch die Schuldigen für die Brandanschläge. Was daraus wird ist das grausamste und erschütternste was ich jemals gelesen habe. Von den 150.000 in Kiew lebenden Juden sollen 50.000 in einer „Vergeltungs- und Vorbeugemaßnahme“ liquidiert werden. Es handelt sich um das am 19. September 1941 verübte Massaker von Babyn Jar. Die Durchführung dieser völlig surreal wirkenden Szenerie wird in voller Bandbreite und in all ihrer Perversität geschildert. Ob die Beschreibung solch einer Szene wirklich nötig war, um zu zeigen welch fürchterliche Verbrechen vom deutschen Nationalsozialismus begangen wurden, ich weiß es nicht!

Während die gutgläubigen Opfer der Lüge einer vorgesehenen Umsiedlung glauben und so freiwillig in die Arme Tätern gehen, betäuben sich diese im Rum, um dann zu morden und zu schlachten.

Vor ein paar Wochen habe ich Jean Amérys Essay Jenseits von Schuld und Sühne als Hörbuch gehört, worin er, als er von dem Gebäude in Belgien berichtet in dem er vom SD verhört und gefoltert wurde, den Satz schreibt: „Geschäftszimmer, jeder ging an sein Geschäft und ihres war der Mord.“


"Unermüdlich, methodisch fuhr der von uns eingerichtete gigantische Apparat damit fort, diese Menschen zu vernichten. Es schien nie aufzuhören. Seit den Anfängen der menschlichen Geschichte war der Krieg stets als das größte aller Übel wahrgenommen worden. Doch wir, wir hatten etwas erfunden, neben dem der Krieg richtig und rein erschien, etwas, dem schon jetzt viele dadurch zu entgehen suchten, dass sie sich in die elementaren Sicherheiten von Krieg und Front flüchteten. Selbst die wahnwitzigen Schlächtereien des Ersten Weltkriegs, die unsere Väter und einige unserer älteren Offiziere miterlebt hatten, erschienen fast sauber und gerecht gegenüber dem, was wir in die Welt gebracht hatten. Ich fand das außerordentlich. Mir schien es etwas ganz Entscheidendes zu sein, etwas, was mir, wenn ich es verstünde, erlauben würde, alles zu verstehen und mich endlich auszuruhen."

Dies, Aues Gedanken als er sich mit warmem Tee und Zigarette eine kurze Unterbrechung in seinem "Geschäft" gönnt.